Im letzten Blog habe ich das Thema „Sterben/Tod“ aufgegriffen und da möchte ich heute den Faden weiterspinnen, weil der Tod eine wesentliche Rolle in meinem Erwachen oder nennen wir es besser Bewusstwerdung spielte.
Bei den Naturvölkern geniessen Menschen, die ausgeprägte spirituelle Gaben besitzen ein hohes Ansehen, wohingegen sie in der „Zivilisation“ im Zuge der Christianisierung bis weit ins 18. Jahrhundert hinein als Hexen oder Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden.
Jeder Mensch hat eine spirituelle Begabung, aber viele sind sich dessen nicht bewusst (vielleicht auch deshalb, weil dieser Aspekt in ihrer Lernaufgabe nicht vorgesehen ist), denn genau das ist es: ein lebenslanges Lernen.
Natürlich wird einem eine gewisse Grundvoraussetzung mitgegeben, die das Lernen leichter macht (siehe z.B. Roger Federer); nichtsdestrotz ist noch nie ein Meister vom Himmel gefallen. Da gehört Verzicht und jede Menge Training dazu, sowohl bei Roger als auch bei mir. Bewusstwerdung kann mit dem Erlernen einer neuen Sprache verglichen werden.
Am Anfang ist diese noch holperig, man spricht oder betont die Wörter falsch, vergisst oder verwechselt sie, aber je mehr man sie übt, dessen flüssiger kommt sie einem von den Lippen, bis es am Ende fast mühelos erscheint.
Was aber hat das nun mit dem Tod zu tun? Dazu möchte ich euch ein paar Einblicke in meine Familiengeschichte geben, die für die damalige Zeit ab 1941 doch recht ungewöhnlich war.
Mein Vater ist das mittlere von fünf Geschwistern, wobei es zwischen dem Ältesten und dem Jüngsten einen Altersunterschied von 18 Jahren gibt, das heisst mein jüngster leiblicher Onkel ist gerade mal 11 Jahre älter als ich. Keine zwei Jahre vor meiner Geburt brachte der zweitälteste Bruder meines Vaters ein verwahrlostes Kind nach Hause. Er war der Sohn einer Serviceangestellten, die in einem Restaurant arbeitete, welches mein Onkel, der dem Alkohol zeitlebens sehr zugeneigt war, regelmässig frequentierte.
Die Mutter musste dringend Geld verdienen, konnte sich aber keine Betreuung für das Kind leisten und somit nahm sie ihn einfach mit zur Arbeit, wo er die meiste Zeit sich selbst überlassen war. Also brachte mein Onkel ihn zu meinen Grosseltern, welche sich fortan um das Kind kümmerten. Erst im Alter von 20 Jahren liess er, der gerade mal vier Jahre älter ist als ich, sich von ihnen adoptieren und wurde somit väterlicherseits zu Onkel Nummer 4.
Meine Mutter hingegen wurde in eine Bauernfamilie hineingeboren, über die ich gleich mehr erzählen werde. Beiden Elternteilen ist gemein, dass sie im Gegensatz zu uns keine behütete Kindheit hatten; unter anderem weil das Geld oft knapp zum Überleben reichte.
Meine Grossmutter mütterlicherseits, verdingte sich bis zu ihrer Heirat als Magd auf einem anderen Hof im Dorf. Sie war eine tiefgründige Person, die selten über ihre eigenen Gefühle sprach, jedoch sehr naturverbunden war und ein grosses Herz besass.
Sie hatte die 30 bereits überschritten, als sie meinen acht Jahre älteren Grossvater heiratete. Mit 33 Jahren bekam sie Zwillinge (meine Mutter und meinen Onkel) und zwei Jahre später folgte meine Patentante. Als die Kinder 16 bzw. 14 Jahre alt waren fiel mein Grossvater bei der Kirschenernte von der Leiter und starb einige Zeit später an den Folgen seiner Verletzungen.
Durch diesen Schicksalsschlag wurde meine Grossmutter mit knapp 49 Jahren Witwe und mein noch minderjähriger Onkel quasi der „Herr im Haus“. Das sorgte für einige Turbulenzen aber letzten Endes nahm diese tragische Geschichte für alle ein gutes Ende, obwohl die unsichtbaren Narben natürlich bleiben.
Ich war für sie das erste Enkelkind von insgesamt acht und da ich sie die ersten viereinhalb Jahre meines Lebens mit niemandem teilen musste, entwickelte sich eine besondere Beziehung zwischen uns.
Ich konnte früh sehr gut sprechen und hatte entsprechend meiner Natur viele Fragen, auf die mir die Erwachsenen oft keine Antwort geben konnten. Seit ich mich erinnern kann, war ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.
Mir war auf unerklärliche Weise klar, dass da mehr war, als das Auge sehen konnte, wobei ich hier noch anfügen muss, dass ich „zufällig“ mit einer schweren Sehbehinderung zur Welt gekommen bin. Diese fiel ausser meiner Mutter erst mal niemandem auf, führte aber später dazu, dass ich in meiner Kindheit neben der normalen Schule auch regelmässig eine Sehschule besuchte. Dort und auch beim Augenarzt sass ich dann oft und fragte mich insgeheim, warum die alle so ein Aufheben um mein Sehvermögen machten, wo ich selber kein Problem erkennen konnte.
Als ich älter wurde hatte ich dann zeitweilig die Hoffnung, dass sich mein Sehvermögen auf wundersame Weise normalisieren würde, wenn ich nur immer brav meine Suppe ässe. Na ja, in gewissem Sinne trifft das ja auch zu... der Mensch sieht nur mit dem Herzen gut...
Wie bereits erwähnt, sprach meine Grossmutter kaum über ihre persönliche Befindlichkeit, aber sie kam oft und gerne zu Besuch oder ich leistete ihr Gesellschaft, während sie ihrer Arbeit am Rebberg nachging. Das sah dann so aus, dass sie z.B. die Rebstöcke hochband, während ich ihr Fragen stellte oder ihr Geschichten aus meinem Alltag erzählte. Schwere körperliche Arbeit war nie mein Ding und mit den Händen in der Erde zu wühlen schon gar nicht. Meine Welt ist die geistig-intellektuelle, da kann ich meinen Beitrag leisten, bei allem anderen bin ich bloss ein Klotz am Bein.
Es würde ja auch keinem einfallen, einem Fisch das Fliegen beizubringen.
Meine Grossmutter war nicht nur eine sehr naturverbundene Person, sondern ging auch regelmässig in die Kirche; dies im Gegensatz zu meinen Eltern und mir. Als das Grab meines Grossvaters nach den bei uns üblichen 25 Jahren aufgehoben wurde, hörte sie jedoch auf, in die Kirche zu gehen. Als meine Mutter sie einmal nach den Gründen fragte, bekam sie zur Antwort: „Was soll ich da jetzt noch?“
Obwohl sie nie offen darüber geredet hatte, so war der sonntägliche Gottesdienst respektive der nachfolgende Grabbesuch, doch die einzig verbliebene irdische Verbindung mit ihm. Sie lebte das ebenso selbstverständlich wie meine Mutter, die meistens schon wusste, dass jemand in unserem Umfeld schwanger war, bevor die werdende Mutter die ärztliche Bestätigung bekommen hatte. Und die Trefferquote bezüglich des Geschlechtes liegt bei nahezu 100%. Auch ihre beste Freundin besitzt diese Gabe und von daher wuchs ich im Glauben auf, das sei absolut normal. Je älter ich wurde, desto mehr stellte sich heraus, dass ich mich geirrt hatte. Vielleicht war dies mit ein Grund, dass ich mich lange gegen mein eigenes Hellwissen sträubte, obwohl mir dauernd Menschen begegneten, die bemüht waren mich vom Gegenteil zu überzeugen. Welcher junge Mensch will schon anders sein als die anderen?
Nun aber zurück zu meiner Grossmutter. Kaum war also das Grab meines Grossvaters weg erkrankte sie an Parkinson. Dies führte letztendlich dazu, dass sie die letzten fünf Jahre ihres Leben in einem Alters- und Pflegeheim verbringen musste, weil es schlichtweg unmöglich war, sie weiterhin zuhause zu betreuen.
Sie fühlte sich da sehr wohl, aber eines Tages sagte sie zu meiner Mutter, sie wolle heim. Als meine Mutter ihr antwortete, dass sie doch jetzt hier zuhause sei, blickte sie bloss stumm zum Fenster hinaus. Für meine Mutter und mich war klar, was sie damit gemeint hatte.
Ihren 85. Geburtstag feierten wir in fröhlicher Runde im Altersheim. Sie wirkte so frisch und gelöst wie lange nicht mehr. Es war kurz vor Weihnachten (sie starb knapp vier Monate später). Ich hatte mir ein paar Wochen zuvor die Kniescheibe ausgerenkt und ging an Krücken. An diesem Abend erlitt ich meine erste von vielen Panikattacken, die im Nachhinein sowohl mit dem plötzlichen Tod meiner Grossmutter väterlicherseits als eben auch mit ihrem bevorstehenden Tod in Verbindung gebracht werden konnten, denn an jenem Nachmittag traf mich diese Gewissheit mit voller Wucht.
Jede Panikattacke fühlte sich an, als würde ich sterben. Ich bemühte mich nächtelang verzweifelt nicht einzuschlafen, weil ich überzeugt war, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen. Ich war mir sicher, dass ich genau wie meine Grossmutter väterlicherseits an einer Lungenembolie sterben würde, denn mein verletztes Bein fühlte sich oft kalt und schwer an.
Anfänglich verschrieb mir der Arzt Psychopharmaka, welche die Symptome aber bloss verschlimmerten, so dass ich sie rasch wieder absetzte. Ich hatte meine gewohnte innere Ruhe komplett verloren, fühlte mich hilf- und orientierungslos. Einige meiner Freundinnen kamen mit der Situation nicht klar, so dass sich unsere Wege irgendwann trennten, während andere sich als wertvolle Stützen erwiesen. Eine davon wartet bestimmt schon sehnsüchtig auf die sonntägliche Publikation (hallo Seelenschwester).
Von den Medikamenten ging ich über zu autogenem Training, was nach anfänglichen Schwierigkeiten zwar half; aber den Schlüssel zur Heilung fand ich dort wo ich mich schon immer am wohlsten fühlte: in der Welt der Bücher.
Überall stand zu lesen, dass man sozusagen "die Geister die man rief" nie mehr loswerde. Das wollte und konnte ich nicht glauben; also begann ich mich schlau zu machen. Ich wusste instinktiv, dass ich detailliert verstehen musste, was bei einer Attacke genau in meinem Körper passiert, um mich davon zu befreien.
Es dauerte Jahre, war verbunden mit Höhen und Tiefen, mit dem wehmütigen Loslassen von Menschen und Gewohnheiten, die meiner weiteren Entwicklung nicht mehr dienlich waren. Als ich sozusagen das Licht am Ende des Tunnels erreicht hatte, fühlte ich mich wie neugeboren. Und das Beste und Schönste war die Gewissheit, dass ich überhaupt keine Angst mehr hatte! Selbst der Gedanke an den Tod konnte mir nichts mehr anhaben, denn mir war auf einmal klar, dass das Verlassen der menschlichen Hülle bloss bedeutet, von einem Bewusstseinszustand in einen anderen überzugehen. Es ist wie Einschlafen und Aufwachen.
Und damit möchte ich nochmals zurückkommen zum Tod meiner Grosseltern. Als Kind wird einem ja immer erzählt, dass die Toten in den Himmel kommen. Also blickte ich oft hinauf und fragte mich, wie gross und weit dieser wohl sein müsse, um all die Seelen aufzunehmen.
Kurz bevor meine Grossmutter väterlicherseits starb, traf ich sie nach Feierabend im Bus. Wir redeten wie üblich über alltägliche Dinge. Als sie aus dem Bus ausstieg blieb sie zum ersten (und letzten) Mal im Leben stehen, drehte sich um und winkte mir zum Abschied zu. Damals wunderte ich mich schon ein wenig, denn normalerweise lief sie schnellen Schrittes Richtung Haus, ohne einen Blick zurück.
Sie war neben meiner anderen Grossmutter auch die einzige Leiche, die ich bis heute zu Gesicht bekommen habe und beide hatten eines gemeinsam: Es war als läge da eine fremde Puppe, die zwar aussah wie sie, aber ohne das, was ihre Persönlichkeit ausgemacht hatte.
Als mein Grossvater starb, waren mein Vater und seine Geschwister an seiner Seite. Bevor er für immer die Augen schloss, guckte er zum Bild meiner Grossmutter an der Wand und sagte: „Sie wartet auf mich.“ Mit diesen Worten ist er gegangen und gleichzeitig blieb die Uhr an der Wand stehen.
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden. Die Zeichen sind immer da, auch die Ahnungen, aber man muss lernen sie zu deuten und vor allem zuzulassen, eben wie eine Fremdsprache oder Mathematik. Das Universum, welches sich daraus erschliesst ist grenzenlos.
Aus diesem Grund ist das „Göttliche“ in meinen Augen nichts anderes als bedingungslose Liebe, das Gleichwicht von weiblicher und männlicher Energie. Es ist nichts, wovor man sich fürchten muss und all jene, die diese Wahrheit erkannt haben, sind wahrlich keine Spinner, sondern Weise, die bemüht sind Frieden zu stiften.
Das erste Gebot lautet: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“ Genau, was ausser allumfassender Liebe brauchen wir im spirituellen Sinn denn noch?
Morgen, am 21. Dezember findet übrigens nicht nur die Sonnenwende statt, sondern auch die sogenannte Jupiter-Saturn-Konjunktion. Gewisse Kreise nennen es die Rückkehr des Sterns von Bethlehem. Das birgt Raum für Überraschungen.
Man darf gespannt sein...
Froher 4. Advent und besinnliche Festtage!
Susan
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