Diese Frage hat in der vergangenen Woche den Weg zu mir gefunden und es war mir sogleich klar, dass sich der nächste Blogeintrag mit dieser Frage befassen würde. Auch wenn manche Leser meine Gedanken manchmal als sprunghaft oder unfertig empfinden, bedeutet das nicht, dass sie inkohärent sind. Im Wissen darum, dass wir alle eine Bestimmung haben, folge ich einfach meiner Intuition, im Vertrauen darauf, dass sich die Einzelteile für alle – mich eingeschlossen - im individuell richtigen Moment zu einem klaren Bild zusammenfügen.
Elena Ferrantes Mutter, eine neapolitanische Schneiderin, nannte es „Frantumaglia“, wobei es sich bei „frantumi“ um Bruchstücke, Splitter oder Scherben handelt. Ich habe das Buch gestern aus dem Bücherregal geholt und in einem Zug gelesen, weil ich wusste, dass ich darin Antworten finden würde, auf Dinge, die sich in den vergangenen Tagen zugetragen hatten und erzählt werden wollten.
Details spielen keine Rolle, denn der Schutz jener, die sich mir anvertraut haben, ist mir heilig, aber sie brachten Erinnerungsfragmente zurück in mein Bewusstsein, deren Sinn ich erst jetzt begreife. Es handelt sich um weltbewegende Ereignisse, deren Möglichkeit mir Jahre bevor sie tatsächlich geschahen als Geistesblitze vor meinem inneren Auge erschienen sind. Ich kann nichts davon beweisen und wenn ich sie hier nennen würde, wäre die natürliche Reaktion, dass man so etwas im Nachhinein immer behaupten kann.
Nur ich alleine weiss, dass es keine Einbildung ist, sondern die reine Wahrheit. Sie waren Hinweisschilder, die mich letzten Endes auf diesen Weg hier gebracht haben. Was genau meine Mission ist, kann ich nicht sagen; alles was ich spüre ist, dass die Erkenntnis nahe ist. Ich kann die Veränderung der Energie fühlen, aber noch nicht greifen. Es ist, als ob man im Traum etwas erlebt, das man unbedingt in den Wachzustand hinüberretten möchte, weil es essentiell scheint. Sobald man aber die Augen aufschlägt ist es weg und trotzdem lässt es einen nicht mehr los. Man sucht verzweifelt nach Erinnerungsfetzen, die sich dem Zugriff – wie Quecksilber - unablässig entziehen, so dass man sich aus Verzweiflung die Haare raufen möchte.
Nun aber zurück zu Elena Ferrante, die mit der „Neapolitanischen Saga (Meine geniale Freundin / Die Geschichte eines neuen Namens / Die Geschichte der getrennten Wege / Die Geschichte des verlorenen Kindes)“ ein Meisterwerk der zeitgenössischen Literatur erschaffen hat, das man gelesen haben muss! Die Autorin hatte sich mit dem Erscheinen ihres Debütromans im Jahr 1992 für die Anonymität entschieden, weil sie der Meinung ist, dass „Bücher keinen Autor mehr brauchen, wenn sie einmal geschrieben sind; sie früher oder später ihre Leser finden, wenn sie etwas zu erzählen haben“.
Selbstverständlich hat die Presse alles in ihrer Macht stehende unternommen, um ihre wahre Identität zu enthüllen, aber wenn jemand sich dafür entscheidet, „niemand sein zu müssen“, dann beisst man zwangsläufig auf Granit. Ich finde es grossartig, dass sie diesen Weg konsequent gegangen ist und wage zu behaupten, dass es die „Neapolitanische Saga“ ohne diese nie gegeben hätte, vor allem nicht in dieser faszinierenden Vielschichtigkeit die ihresgleichen sucht.
Jeder zieht aus einer Geschichte seine eigenen Schlüsse, aber für mich war von Anfang an klar, warum die Erzählerin im Buch keinesfalls zufällig Elena heisst und weshalb ihre „geniale Freundin“ Lila den Wunsch äusserte, eines Tages zu verschwinden ganz so, als wäre sie nie dagewesen. Die Lektüre von „Frantumaglia“ hat diese These weiter erhärtet und wer gerne und viel liest, der weiss, dass in jeder Fiktion sehr viel Wahrheit steckt. Lila und Lenû symbolisieren die Dualität die uns allen innewohnt. Da ist einerseits das Wilde/Ungebändigte und andererseits das Gehorsame/Angepasste, die im ständigen Wettstreit miteinander stehen, weil man erst dann wirklich authentisch ist, wenn man beides zulässt. Die Zerrissenheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Weltliteratur, man denke bloss an Emily Brontés „Sturmhöhe“, Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ oder Tennessee Williams „Endstation Sehnsucht“.
Wir alle sind von Geburt an Normen unterworfen, denen man sich meist nur schwerlich entziehen kann, vor allem wenn man noch nicht bereit ist, sich die eingangs erwähnte Frage zu stellen. Dadurch entsteht viel Leid, weil wir zwar gerne sagen würden was wir denken, es aus Angst vor Konsequenzen aber häufig bleiben lassen.
Das Rohe, Wilde, scheinbar Gefährliche zieht uns magisch an und stösst uns gleichzeitig ab, weil uns die Religion Glauben macht, wir wären alles Sünder. Dabei ist „wild“ nicht per se negativ oder käme jemand auf die Idee eine Wildblume hässlich zu finden? Glaubenssätzen ist mit Rationalität schwer beizukommen und obwohl eigentlich alle Religionen die Barmherzigkeit zuoberst auf der Fahne stehen haben, befasst sich kaum eine fundiert mit dem Thema „Achtsamkeit“. Dabei sollte diese, ganz im Sinne der spirituellen Traditionen des Ostens, das Fundament allen menschlichen Lebens bilden, denn wer sich selbst nicht achtet, kann sein Herz nicht fremder Not öffnen und sich ihrer annehmen.
Ein achtsamer Mensch ist meiner Meinung nach automatisch auch jemand, der „niemand sein muss“, weil man sich stets der Tatsache bewusst ist, dass man das, was man einem anderen antut gleichzeitig auch sich selber antut. Und so grotesk das vielen noch immer erscheinen mag, ist es umgekehrt genau so; denn alles basiert und geschieht auf Basis unseres freien Willens.
Dazu gehört auch jegliche Art von Missbrauch, selbst wenn niemand das gerne hören will. Im Englischen sagt man dazu „It takes two to tango“ - frei übersetzt: Es braucht immer zwei. Tina Turners Lebensgeschichte ist ein gutes Beispiel hierfür. Erst als sie zurückschlug und Ike letztendlich verliess, konnte sie die endlos scheinende Spirale der Gewalt durchbrechen, denn niemand ausser unseren eigenen Gedanken hat Macht über uns. Der Buddhismus hat ihr Selbstbewusstsein gestärkt und die Kraft gegeben, dem Leben eine neue Wendung zu geben, die ihr nicht nur Erfolg, sondern auch die grosse Liebe bescherte.
Fäden, Scherben oder Bruchstücke aller Art sind nicht bloss nutzlose Überreste, sondern erzählen von einer Geschichte die war und in anderer Form wieder sein kann, wenn man sich die Mühe nimmt sie zu sortieren und neu zusammenzusetzen. Im Japanischen gibt es dafür den Begriff „Kintsugi“.
Meine Woche hat damit geendet, dass mir das Erlebte, sei es in schriftlicher, mündlicher oder visueller Form buchstäblich unter die Haut gegangen ist, was sich in einem unangenehmen Anfall von Juckreiz manifestierte. Die Haut ist bekanntlich unsere sichtbare Grenze im Aussen und obwohl ich keine Minute davon missen möchte war ich rein energetisch betrachtet im roten Bereich angelangt. Alarm – Botschaft angekommen!
Wie ihr unschwer erkennen könnt, habe auch ich noch viel zu lernen, z.B. nicht alles so nahe an mich heranzulassen...
Zum Schluss möchte ich euch noch ein schönes Video mit auf den Weg geben, das auf eine wunderbare Art und Weise erzählt, wie die Geschichte enden sollte: „Das Ei – Eine Kurzgeschichte“.
Fortsetzung folgt - eure Susan
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